KUNSTVEREIN AURICH
Keiko Sadakane – „In alten Zeiten hing am Sakaki-Baum ein Spiegel, …“
Keiko Sadakane – „In alten Zeiten hing am Sakaki-Baum ein Spiegel, …“
TRAUMSTÜCK
Mit Asche gemalt
Ein Meisterwerk der japanischen Keramik
von Sebastian Preuss
Die Töpferscheibe trieb er, in uralter Tradition, mit einem Stab an. »Das gibt meinen Werken den Rhythmus meiner Seele«, sagte Tsuji Seimei. Er ist eine japanische Keramik-Legende; die Experten greifen zu schwärmerischen Metaphern, wenn es um eines seiner Stücke geht. Etwa diese Teeschale aus der Mitte der siebziger Jahre, die der Düsseldorfer Japanspezialist André Kirbach anbietet. Seimei, 1927 geboren, konnte angeblich schon mit fünf Jahren kostbare alte Tongefäße von wertlosem Plunder unterscheiden. Mit zehn saß er erstmals an einer Töpferscheibe, und als Dreizehnjähriger gründete er ein eigenes Institut zur Erforschung der Keramik. Bis zu seinem Tod im Jahr 2008 blieb er in seiner Tokioter Werkstatt den alten Techniken treu, ohne in den Formen zu verleugnen, in welcher Zeit er selbst lebte.
Der gewellte Rand, die zart bewegte Bauchung und die leichte Verzerrung, die krustige Epidermis sowie die roten und grünen Farbstrukturen, die an das schönste Informel denken lassen: Alles ist unregelmäßig, und doch strahlt das Gefäß zeitlose Ausgewogenheit aus. Seimei verwendete den Ton aus Shigaraki, einem Städtchen, in dem das Töpferhandwerk seit dem Mittelalter gepflegt wird. Der Shigaraki-Ton ist grobkörnig und voller Quarzeinschlüsse, die beim Brennen aufbrechen oder an die Oberfläche kommen. Bei 1300 Grad setzt sich im Ofen die Flugasche des Holzfeuers als Glaspartikel auf dem Ton ab. So benötigte Seimei keine Glasur, um die Teeschale zum Schimmern zu bringen. Virtuos beherrschte er zudem die Hidasuki-Technik: Er umwickelte die Objekte mit Stroh, das beim Verbrennen im Ofen die malerischen Farbeffekte schuf. Tradition und Moderne sind in der japanischen Kultur nicht voneinander zu trennen; das gilt auch für das Kunsthandwerk, das dort ohnehin eine viel höhere Wertschätzung genießt als bei uns. Keramiker wie Tsuji Seimei sind hoch verehrte Künstler, und von den Japanern können wir lernen, eine Teeschale wie ein Gemälde oder eine Skulptur zu betrachten. Seimeis Werke sind rar und in Japan hoch begehrt. 9500 Euro für die meisterhafte Teeschale sind da fraglos ein angemessener Preis.
Sebastian Preuss ist stellv. Chefredakteur von WELTKUNST und KUNST UND AUKTIONEN
Artikel als PDF-Datei:
DIE_ZEIT_vom_31.07.14_TRAUMSTUECK_Tsuji_Seimei_Teeschale