Abraham David Christian

Skulptur, 1969

Erde
D. 16 cm

ausgestellt und publiziert:
Abraham David Christian. Erde
4. Juli – 4. Oktober 2020
Kunstmuseum Bochum

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Zeichnung von Rolf Cavael

JJ: Abraham David Christian. die Ausstellung in Bochum hat den Titel „Erde“. Und Erde war auch das erste Material, mit dem Sie gearbeitet haben. Warum Erde?

ADC: Erde ist überall verfügbar. Sie erinnert an den Kreislauf der Natur. Wir sind auch ein Teil der Natur. Und Erde ist „kostenlos“. Wenn ich an den Niederrhein gefahren bin, in die Umgebung von Düsseldorf, haben mich immer diese großen gepflügten Felder im Herbst oder im Frühjahr fasziniert, die eine wunderbare Atmosphäre verbreiten. Ich habe dann sogenannte „Erfahrungen“ gemacht. Das würde man heute vielleicht als Performances bezeichnen. Ich bin durch die Erde gekrochen; ich habe mich in Erdhöhlen eingegraben; stand auf Feldern, die gepflügt und im Winter mit Schnee bedeckt waren, in Schneestürmen, um zu sehen, wie lange ich das aushalten kann. Ich habe also in der Natur so eine Reihe von Extremerfahrungen gemacht, Extremerfahrungen in Anführungsstrichen, mich den Dingen ausgesetzt. Dieses Aussetzen war immer eine Technik, die ich benutzt habe, um an die Wurzel zu kommen, die mein radikales Denken weiter geschärft hat.

JJ: Sie hatten Ihre Arbeitsweise damals in drei Worten beschrieben: Erfahren, Entscheiden, Bescheiden.

ADC: Ja, über die Erfahrung habe ich ja gesprochen. Das heißt: Sie laufen von einer Stadt A zu einer Stadt B und erleben Dinge, an die Sie nie gedacht haben in Ihrem Leben. Sie legen sich auf ein Stück Feld und es passiert etwas mit Ihnen, was man vorher nicht denken kann, was nur in diesem Moment erlebbar ist. Wo Sie kein Publikum brauchen, wo Sie überhaupt keinen anderen Menschen brauchen. Es geht ja um die innere Erfahrung. Und das Foto davon ist dann nichts anderes als eine Art der Dokumentation. Es ist nichts anderes als ein historischer Moment, der aufgenommen wurde. Ob das Kunst ist, das weiß ich nicht. Es wird zwar behauptet, aber ich glaube das nicht. Das Erste, das ist diese Erfahrung. Dann kommt die Entscheidung, was mache ich mit der Erfahrung? Und die setze ich um, zum Beispiel in eine Erdkugel. Und wiederum ist das natürlich für den Betrachter schön, die Erdkugel zu sehen, weil Erde ein Material ist, das alle Menschen kennen, und eine Kugel kennt auch jeder Mensch. Aber was man nicht sehen kann, ist die Erfahrung darin, die zwölf Stunden, die das gebraucht hat. Ohne Essen, ein Moment, wo man die Atmung sehr genau kontrollieren muss, wo es keine Ablenkung gibt, wo keiner stört, wo man bei sich selbst ist und auch dieses Formen der Kugel in der Meditation vergisst. Und es entstehen halt Dinge, die dann mehr oder weniger auch eine Form von „Abfall“ sind. Die Erfahrung kann ich natürlich in meinem Leben verwerten, ob sie sichtbar wird in der Kugel für den Betrachter – das ist möglich, aber darüber müssen wir noch nachdenken, was der Betrachter mit dieser Erfahrung macht. „Vergessen Sie das Äußere“, sage ich ja auch, „um in das Innere der Arbeit einzudringen.“ Das heißt, der Betrachter meiner Arbeit soll das Äußere vergessen, um in das Innere zu gelangen, was eigentlich das Wesentliche der Arbeit ist. Das ist schon auch dieser Bescheidungsprozess, also dieses „Erfahren, Entscheiden, Bescheiden“, das zu reduzieren auf das Notwendigste, damit der Ballast, den wir mit uns herumtragen im Leben, so wenig wie möglich wird. Meine Arbeit wird eigentlich reduziert auf das Notwendigste, um den Menschen, der das betrachtet – der erste bin ich selbst –, auf diesen Kern zu verweisen. Der Kern der Arbeit ist das Nicht-Sichtbare. …

Auszug aus: Erde – ein Gespräch mit Abraham David Chrstian, geführt von Jörg Jung im Juni 2020.
Veröffentlicht im Katalog Erde, erschienen anlässlich der Ausstellung vom 4. Juli bis 4. Oktober 2020 im Kunstmuseum Bochum. Herausgeber: Hans Günter Golinski im Auftrag der Stadt Bochum.

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